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Ravioliletter No. 2
Liebe Raviatoren und Raviolinen,
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geschätzte Freundinnen und Freunde der Raviolibar,
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nun ist es also passiert: nämlich nichts, weil so viel Neues geschah. Schon im Herbst sollte dieser Newsletter geschrieben und verteilt werden, damit er seiner Bezeichnung auch gerecht wird, doch wie so oft hinkt das Jetzt der Gegenwart hinterher … Dabei hätten wir durchaus Zeit gehabt, was wir allerdings erst merkten, als diese schon vorbei war! Es hat tatsächlich einige Wochen gedauert, bis die Raviolibar nach ihrer ersten Sommerpause abermals zum erweiterten Wohnzimmer unserer BesucherInnen wurde – in dieser kühleren Saison sozusagen zum Wintergarten –, aber das geschah dann so rasant und überzeugend, dass die vorweihnachtliche Hektik an der Hirschmattstrassen-Ecke bereits im Oktober begann. Dazu kam, dass unser Mietschreiber («Rent an author» – klingt fast wie «rent another», was wir in diesem Fall aber nicht wollten) durch einen Umzug mit fast 200 Bücherkisten ins Ausland die tektonischen Platten der Innerschweiz erleichtert aufjaulen liess und laufend neue Wege fand, unseren Terminatoren zu entkommen. Nun haben wir ihn wieder einfangen und in einem kleinen Verlies neben dem Bierkeller arretieren können, ausgerechnet in jenem Raum, in dem das Militär in den Vierzigerjahren eine Geheimdienststation unterhielt, mittels der die helvetischen Geschicke jener Jahre entscheidend beeinflusst wurden.
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Das geschieht ihm recht! Ab und zu lassen wir ihm ein Leberkäs-Semmerl ins Loch hinab, wofür es in unserer Theke eine spezielle kleine Luke gibt. Ach, die Ravioli-Theke! Fast jeder neue Gast hängt sich begeistert an ihr ein, streicht mit der Hand zärtlich über die Messing-Intarsien und fühlt sich an seinen ersten Besuch anno 1957 erinnert … Die Raviolibar ist innert weniger Monate wahrhaftig zur Zeitmaschine geworden, weshalb dieser «Newsletter» an sich schon die Relativität jeglicher Theorie bestätigt. Fort also mit allen Gesetzen der geordneten Eventkommunikation und unvermittelt zum eiligst Wesentlichen:
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- Am Sonntag ist Heiligabend und wir bescheren Euch mit erweiterter Öffnungszeit (bis 3 Uhr) ausgesprochen festliche, gute Laune. Also eigentlich ist alles wie immer, nur eben Weihnachten, weil eh unvermeidlich. Möglicherweise entscheiden wir uns noch zu einem speziellen Drink, der danach seinen Weg in unsere neue Cocktailkarte finden mag. Wer diese noch nicht gesehen hat: Sie liegt immer nur dann aus, wenn ein entsprechend kundiger Mitarbeiter die Bar bedient – was allerdings immer öfter geschieht, denn alle lernen fleissig dazu.
- Und Silvester? Selbstverständlich! Wir werden uns hüten, den ersten Jahreswechsel am eigenen Tresen trockenfallen zu lassen. Bis mindestens um 4 Uhr laufen alle Hähne, und wer sich nicht entscheiden kann, in klirrendem Eisregen in den Sedel zu pilgern oder sich zur «Sparty» ins wohl ausverkaufte Kleintheater zu schummeln, der ist ohne Frage in der Raviolibar bestens aufgehoben.
Im Sinne einer über Bord geworfenen Reihenfolge aller Neuigkeiten gilt es an genau dieser Stelle, von Herzen Dank zu sagen: unseren und Euren Familien nämlich, denen die Raviolibar in kürzester Zeit und nicht nur an Feiertagen zu einem echten Wettbewerber im Kampf um Aufmerk- und Gemeinsamkeit geworden ist. Und natürlich unserer Crew, die uns selbst zu einer kleinen Familie wurde, so wie wir es uns erträumt haben. Eifersüchtig? Das ist nicht nötig; kommt einfach vorbei!
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An eine Zeit vor der Raviolibar können sich übrigens auch viele Passagiere des vbl-Verkehrs kaum noch erinnern, seit wir unsere Bänke vor den Fenstern montiert durften. Hier vermischen sich – wofür wir allerdings erhebliche Gebühren zu leisten hatten – privater und öffentlicher Raum auf angenehmste Art und Weise, und schon mancher ermattete Stadtreisende liess sich zu ungeplanten Erfrischungen (und neuerdings zu unserem aktuellen Renner, dem heissen Ingwersirup mit oder ohne Knall) überreden und verpasste beim Enträtseln des Raviolexikons auf unseren Bierdeckeln gleich mehrere Anschlüsse. Was haben sie alle bloss vor dem 22. März gemacht? Pünktlichkeit ohne Gegenwart hat – vor allem im derzeitigen gesellschaftlich-politischen Wechselspiel zwischen vorgestern und übermorgen – doch wirklich keinen Sinn. Unsere inzwischen allseits beliebten Tapenaden sortieren hingegen alle Kräfte des Alltags neu.
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Also lieber einen kurzen Boxenstopp einlegen, den einen oder anderen entzückenden Mitmenschen von der Bar aus anschmachten, den «Wein der Woche» auf seine Diskussionswürdigkeit prüfen und die Wände und Regale der «Kunst und Krempel»-Ausstellung nach überraschenden Last-minute-Weihnachtsgeschenken absuchen. Hier wurden schon manche heimliche Kostbarkeiten entdeckt und erobert, wie zum Beispiel das entzückende kleine Portrait einer dahinschmelzenden Muse, vor fast achtzig Jahren von Eduardo Forlenza auf den oder das Canvas geträumt, die Schreibmaschine von «Monarch», die Colani-Lampe oder die charmanten Badekappen aus realsozialistischer Zeit («Plaste und Elaste aus Schkopau!»). Zu haben ist auch noch die BRAVO Nr. 9, mit einer entrückten Brigitte Bardot als Covergirl, ein selten gut erhaltenes, seltenerweise nahezu unbeflecktes Exemplar. Auch einige betörend blöde Miniaturplagiate von Hans Schärers Madonnen sind noch zu haben, für all jene, die sich keine echte leisten können. Und nach wie vor haben wir genügend Reserven im Keller, um die entstehenden Lücken neu zu füllen; der suchende Blick lohnt sich also bis zur allerletzten Minute, wenn Ihr nach erfolglosen Einkaufsversuchen am Samstag Nachmittag verzweifelt die Bar aufsucht, um über Ausreden oder Auswanderung zu sinnieren! Die Raviolibar rettet Weihnachten, so rasant wie elegant …
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Hier nun aufzuzählen, was Ihr in den vergangenen Wochen und Monaten alles verpasst habt, wäre ein sinnloses Unterfangen. Nur so viel: Es war sehr viel! Einige Konzerte jeglicher Couleur, die Nils-Nova-Ausstellung, Ekstasen und Exzesse, Genüsse jeglicher Art für Körper und – äh, ja, Geist, genau. Konzentrieren wir uns also auf das Kommende:
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- Last minute: Heute abend, Donnerstag, den 21. Dezember, ab 21 Uhr: Die Jakobs! Mit den Singer-Songwritern Roman Berlinger, Isabelle Lussi, Andy Lussy und Gregor Heini. Mit Liedern, die zu diesem hurtigen Newsletter passen wie die Faust aufs Auge: von der Unfassbarkeit der Zeit, der Begrenztheit der Kommunikation und von kleinen und grossen Lebenslügen.
(Das war Gestern und es war Grossartig. Anmerkung der Redaktion)
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Schwingen wir uns also auf in die letzten Tage dieses so seltsamen Jahres, mit der Gewissheit, dass zumindest in der Raviolibar auch das nächste an Eigenart kaum zu überbieten sein wird. Und wer seine Postkartenwünsche zum Jahreswechsel immer noch nicht verschicken konnte, kann sogar dies bei uns noch absolvieren, «zwischen den Jahren» sozusagen, in unserem kleinen Kramladen des Glücks.
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Bis bald also, das Ravioliteam:
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Roger, Gabriele, Priska, Andy, Barbara, Eliane, Tamino, Debby, Rita und Theo
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P.S.: Unser Vorrat an Fussnoten (zum Beispiel, dass der «Kramladen des Glücks» ein Romantitel von Franz Hessel aus dem Jahre 1913 ist) ging am Jahresende leider zur Neige; wir versorgen Euch im nächsten Letter grosszügig nach. Sollte dies hingegen nicht erwünscht sein, schreibt uns bitte so etwas wie «Besten Dank, aber am Ende aller Zeiten möchte ich für Eure schwankenden Erörterungen keinerlei Sinne mehr zur Verfügung stellen müssen. Und Ingwersirup trinke ich grundsätzlich nur unbiologisch und kalt, ausserhalb jeglicher raviolinischen Krümmung von Zeit und Raum.» Also, so ungefähr.
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